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Rekorde

Größer, lauter, älter ... Rekorde 

 

Die älteste noch spielbare Orgel findet man in der Schweiz, in Sion, in der Église Notre-Dame-de-Valère. Ihre ältesten Pfeifen wurden auf das Jahr 1435/36 datiert, wobei neuere Schätzungen davon ausgehen, dass das klingende Werk der Orgel in der Kirche St. Andreas im westfälischen Soest-Ostönnen auf ein annäherndes oder sogar früheres Entstehungsdatum zurückverfolgt werden kann. Eine weitgehend erhaltene Orgel der Gotik kann man auch in Krummhörn-Rysum bewundern. Sie stammt aus dem Jahr 1457.

 

Auch im deutsch-holländischen Brabant überleben bis heute Orgeln mit Registern aus dem 16. Jahrhundert. Eine der ältesten spielbaren Orgeln in der Nähe zum Saarland steht in Kiedrich am Rhein. Dort wird – mit ausdrücklicher Erlaubnis des Mainzer Erzbischofs – bis heute das Hochamt auf Latein gesungen, und noch dazu aus einem handgeschriebenen Chorbuch in gotischer Hufnagelnotation. Der Kiedricher Kinderchor und sein Kantor werden aus den Erlösen von Weinbergen finanziert, die auf die Schenkung eines wohlhabenden Engländers im 19. Jahrhundert zurückgehen. 

Die größten Orgelpfeifen (20 Meter Länge), echte 64-Fuß-Register, soll es in der Town Hall von Sydney geben und in Atlantic City, USA. In der Orgel der dortigen Convention Hall, die auch einen Spieltisch mit sieben Manualen besitzt (mehr als jede andere Orgel der Welt) stehen auch einige der schwersten Pfeifen (1.675 kg Gewicht). Um das lauteste Register der Welt streiten sich gleich drei Standorte: wiederum die Convention Hall in Atlantic City (die Grand Ophicleide soll das 30fache eines normalen Registers an Winddruck besitzen), die Anglican Cathedral im englischen Liverpool (Tuba Magna 8‘), und die Kathedrale Saint John the Divine in New York (State Trumpet 8‘). 

 

Wer sich weiter auf Rekordjagd begeben will, der findet die Details zu den größten Orgeln vieler Länder, auch zu Deutschlands größter Orgel im Dom zu Passau, auf www.orgelseite.de unter der Rubrik „Kurioses und Weltrekorde“.

tierisches Vergnügen

Muppaphon und Katzenorgel ... ein tierisches Vergnügen? 

 

Auch wenn wir heute den Kopf schütteln: es gab sie tatsächlich und sie wurden sogar in ehrwürdigen Lexika und Traktaten verewigt.

Von Athanasius Kircher, dem Universalgelehrten des 17. Jahrhunderts, erfahren wir, dass ein Freund, der Jesuit Gaspar Schott, einen Chor aus Eseln zusammengestellt habe. Kircher experimentierte auch mit magnetischen Glocken und Äolsharfen – und war wohl auch einer der Ersten, die eine Art Impfung gegen die Beulenpest ins Gespräch gebracht haben.

 

Die Katzenorgel scheint schon vor seiner Zeit existiert zu haben: Der Historiker Juan Calvete de Estrella beschreibt eine solche Katzenorgel, die anlässlich des Besuchs des spanischen Königs Philipp II. in Brüssel präsentiert wurde, und „gespielt“ wurde von einem Bären, der in einer Kutsche umhergefahren wurde. Der französische Musikologe Jean-Baptiste Weckerlin schreibt, dass sie aus 16 Kätzchen bestanden hätte, ein jedes so eingespannt, dass ihr Schwanz an eine Klaviatur gebunden werden konnte.

 

Damit nicht genug: der deutsche Psychiater Johann Christian Reil – auf ihn soll übrigens die Wortschöpfung „Psychiatrie“ zurückgehen – verkündete 1803, dass ein solches Instrument ideal geeignet sei, um chronische Tagträumer in die Realität zurückzuholen, eine „Fuge auf diesem Instrument gespielt, wenn die kranke Person die Gesichter der Kätzchen sähe und das Spiel auf diesen Tiere höre“, könne nicht anders, als wieder zu Bewusstsein zu kommen. Es sei als Medizin so einzigartig und so verrückt, dass die Katzenorgel auch wirksam sei gegen schwerste Fälle geistiger Umnachtung. 

Trotzdem bezweifeln Forscher, dass etwas Wahres an solchen Geschichten ist. Sicher ist man sich allerdings, dass es im 15. Jahrhundert ein Schweineklavier gab. Der französische König Louis XI. bestellte eines bei Abbé de Beigne. 400 Jahre später, im amerikanischen Cincinnati, soll es ein vergleichbares porko-forte gegeben haben.

Dann doch lieber die tierfreundliche Variante, wie sie die Muppets mit ihrem Muppaphone oder Henry Dagg 2010 als Katzenklavier aus 16 Spielzeugkätzchen ins Netz gestellt hat. 

Film

Nicht nur Engel, auch Vampire ... die Orgel im Film 

 

Nicht nur als Begleitmusik, sondern auch „im Bild“, hat die Königin der Instrumente die Regisseure fasziniert und inspiriert. In der Mehrzahl scheinen es aber eher die gespenstischen Typen wie Kapitän Nemo oder das Phantom of the Opera oder die ganz bösen Buben zu sein, die gern in die Orgeltasten greifen: Pirates of the Caribbean und gleich mehrere Dracula- und Frankenstein-Filme nutzen die Orgel als eine weitere Dimension in ihrem schaurigen Szenario. Auch eine Episode – Adagio hieß ihr Titel – des deutschen Krimi-Klassikers Derrick soll von Bachs Orgelmusik inspiriert gewesen sein. 

 

Die packendste Verfilmung der Orgel und der Macht ihrer Musik hat der im Februar 2020 verstorbene Joseph Vilsmeier geleistet in seinem mehrfach ausgezeichneten Film Schlafes Bruder. Der Münchner Filmkomponist Enjott Schneider hat dafür u.a. eine Orgel-Toccata komponiert, die im Film von dem Wunderknaben Elias gespielt wird. Die Noten wurden separat im Musikverlag Schott veröffentlicht. 

 

Dem russischen Filmklassiker Alexander Newsky verdanken wir eine der wenigen Partituren, in der Sergei Prokofjew Musik auch für Orgel komponiert hat. Umgekehrt gibt es auch in der Welt der Organisten einige Filmkomponisten, einer davon der Franzose Jean Guillou

Caecilia

Caecilia ... und andere Missverständnisse

 

In der langen Geschichte der Orgel gab es immer mal wieder Missverständnisse.

 

Hier einige Beispiele … 

 

"Die Silbermann-Orgeln waren die Lieblingsinstrumente des Thomaskantors Johann Sebastian Bach."

 

Nicht ganz, auch wenn der Verdacht naheliegt. Johann Sebastian Bach und der große Andreas Silbermann waren zwar Zeitgenossen und lebten nicht weit voneinander entfernt, und Bach hat sich immer wieder lobend über die Silbermann-Orgeln geäußert. Doch sind sich einige Forscher sicher, dass Bach ein ganz anderes Orgel-Ideal hatte, und dass keine seiner großartigen Kompositionen von den – auf ihre Art – großartigen Silbermann-Orgeln inspiriert war.

 

Silbermann war ein beharrlicher Vertreter der ungleich schwebenden Orgelstimmung („Temperatur“), die Bach ablehnte. Heute sind die Silbermann-Orgeln allerdings längst modern und gleichschwebend gestimmt, so dass diese Diskrepanz kaum mehr ins Gewicht fällt. Des Weiteren tadelte Bach (so wie einige andere „ächte Orgelkenner“ (Agricola)) Silbermanns „allzu einförmige Disposition, … und endlich die allzuschwachen Mixturen und Cimbeln.“ Daneben waren Silbermanns Pedal-Register für die virtuosen Partien in Bachs Orgelwerken schlichtweg unzureichend, auch der Umfang der Klaviaturen (oftmals nur bis zum c3 oder cis3) entsprach nicht Bachs Musik, die diesen Ambitus öfters überschreitet. Insofern verwundert es nicht, dass Bach – gefeiert als größter Orgelspieler seiner Zeit – nie offiziell eingeladen worden war, um ein neues Silbermann-Instrument als Sachverständiger „abzunehmen“. Dass Silbermann nichtsdestotrotz einen wesentlichen Beitrag zur Orgelbaukunst geleistet hat, bleibt unbestritten. 

"Caecilia, die Schutzheilige der Musiker, liebte die Orgel."

Ausgerechnet die Märtyrerin und Schutzpatronin Caecilia … in der Heiligenlegende der Märtyrerin und Schutzpatronin Caecilia heißt es 

"cantantibus organis Caecilia Domino decantabat". Ein Text, der leider im 15. Jahrhundert falsch übersetzt und danach hartnäckig überliefert wurde. Denn als die Heilige ihren heidnischen Bösewicht heiraten sollte, verweigerte sie sich und betete zu Gott während des Orgelspiels, nicht mehr, nicht weniger. Sie kam also mit der Orgel allenfalls „in feindliche Berührung“. 

Düdelüüüt ... "die" Toccata

Wenn Sie einen Organisten bitten, doch mal „die" Toccata zu spielen, ist es gut möglich, dass er nachsichtig lächelt oder mit den Augen rollt. Denn in der Orgelliteratur gibt es nicht nur die eine Toccata, sondern hunderte, auch wenn Ihr Gegenüber natürlich ahnt, was Sie meinen: BWV 565. BWV steht übrigens für das Bach-Werke-Verzeichnis, das die Verwechslungen – auch zwischen Bachs vielen Toccaten (zum Teil für Clavier) – vermeiden hilft. Übrigens gibt es noch eine weitere Orgel-Toccata in derselben Tonart d-moll bzw. dorisch, die auch nicht schlecht ist. 

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Worüber Kirchenmusiker auch gerne schmunzeln, ist, was Brautpaare sich so wünschen: Mal ist es So nimm denn meine Hände, eigentlich ein Beerdigungslied, mal ist es das Ombra mai fù, das in der Kirche rein gar nichts zu suchen hat. Georg Friedrich Händel hat es komponiert für eine erotische Szene in seiner Oper Xerxes. Der Titelheld – ein sehr profaner Typ – singt es „danach“, d.h. nach einem Schäferstündchen „im Schatten“ (ombra). 

Ein zeitlos aktuelles Thema – gerade in Zeiten, wo Braut und Bräutigam sich zuerst mal im Internet kundig machen – sind die Hochzeitsmärsche. Viele wurden zwar von Organisten für den Einsatz in der Liturgie komponiert, aber eben nicht alle, und vor allem nicht die bekanntesten von Mendelssohn und Wagner. Sie stammen aus der Schauspielmusik zu Shakespeares Sommernachtstraum bzw. der Oper Tannhäuser. Und nachdem bis 1945 in vielen Kirchen alles Mögliche und Unmögliche musiziert worden war, was später umso gründlicher geächtet wurde, sind Organisten heutzutage vorsichtiger, wenn man sie bittet, die Orgel und den sakralen Raum für jede Art von Wunschmusik freizugeben. 

Hightech und darüber hinaus … die Orgel und die Wissenschaft

 

Orgeln wurden schon von Vitruv als Wunder der Technik bestaunt, mit „großer Sorgfalt und Scharfsinn eingerichtet“, aber in ihrer Funktionsweise „nicht leicht und nicht allen ohne Schwierigkeiten verständlich“.

 

Über die Musik hinaus war der Orgelbau allerdings auch für die Wissenschaft nützlich. 

 

Der für seine großen "romantischen" Orgeln gefeierte Orgelbauer Aristide Cavaillé-Coll kooperierte mit Léon Foucault bei dessen ersten Experimenten zur exakten Bestimmung der Lichtgeschwindigkeit im Jahr 1850/51. Um in diesem „Drehspiegelexperiment“ die Gleichmäßigkeit der Drehung des Spiegels zu garantieren, wurde die Drehung pneumatisch gesteuert und an die gleichbleibende Tonhöhe einer Orgelpfeife gekoppelt, die Cavaillé-Coll für Foucault baute. Noch heute kann dieses Experiment im Musée des Arts et Métiers in Paris besichtigt werden. 

 

Obschon das Register vox humana an die voix humaine, die menschliche Stimme, erinnern sollte (nicht zu verwechseln mit dem italienischen Register voce umana), ging der Polymath und Erfinder Wolfgang von Kempelen noch weiter und konstruierte eine Sprechmaschine, die er als Analogie von menschlicher Sprechweise und Orgel auffasste: Lunge = Blasebalg, Vokalerzeugung = Pfeife mit einfachem, aufschlagenden Rohrblatt, Artikulation (Nasaltrakt) = Trichteraufsätze aus Gummi. Fabian Brackhane, der Kempelens Experimenten wissenschaftlich nachgegangen ist, kommt zu dem Ergebnis: „Faktisch in überzeugender Qualität darstellbar sind lediglich die Vokale ​[⁠a⁠]​, ​[⁠ɛ⁠]​, ​[⁠ɔ⁠]​ und mit einigen Einschränkungen ​[⁠ʊ⁠]​ sowie die Konsonanten ​[⁠p⁠]​ bzw. ​[⁠b⁠]​, ​[⁠m⁠]​ und ​[⁠l⁠]​.“

 

Pythagoras, und nach ihm die Musiktheoretiker bis ins 20. Jahrhundert, untersuchten das Phänomen der „reinen“, d.h. perfekt harmonischen Intervalle und ihrer Proportionen auch mittels Monochord und Orgelpfeifen verschiedener Länge. 1892 begeisterte der japanische Physiker Tanaka Shohei die Musikwelt, auch den Komponisten Anton Bruckner und den Dirigenten Hans von Bülow, mit seinem Enharmonium, einer Orgel, die verschiedenste Tonarten in reiner Stimmung spielen kann. Das Interesse an solchen enharmonischen Instrumenten reicht zurück bis in die Renaissance, da Tasteninstrumente in ihrer Stimmung relativ festgelegt sind, anders als z.B. die Posaune oder die Violine, die den Ton eis anders spielen bzw. greifen als  das f. Enharmonische Cembali wurden in der Spätrenaissance in Italien zur Zeit Carlo Gesualdos und Nicola Vincentinos gebaut und von verschiedenen Komponisten genutzt.

High tech
Calliope

Calliope ... Orgelmusik unter Dampf

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Die Calliope verdankt ihren Namen kurioserweise der griechischen Muse der epischen Dichtung. Als Instrument zählt sie allerdings zu den lautesten überhaupt. Sie besitzt Hochdruckpfeifen, dynamisch so intensiv, dass bereits ihr Erfinder Joshua C. Stoddard kurz nach der Patentierung 1855 in seine Schranken verwiesen wurde. Sein Heimatort Worcester in Massachusetts untersagte jegliches Spielen auf der Calliope, weil man sie acht Kilometer weit hören konnte, ob man wollte oder nicht.

 

Die Dampfdruck-Pfeifen der Calliope kennt man heute noch von Dampfloks oder den letzten originalen Mississippi-Dampfern. Erfunden hatte Stoddard sie eigentlich als Ersatz für Kirchenglocken. Auch reisende Zirkus-Unternehmen nutzten sie für die notwendige Aufmerksamkeit: Der Dampfkessel ihrer Zugmaschine, die die großen Anhänger durch die Lande zog, machte es möglich. Das Stimmen der Pfeifen ist übrigens gar nicht so einfach, denn ihre Tonhöhe steht auch in Relation zur Temperatur des Dampfes. Mit dem Verschwinden der Dampfenergie verschwand auch die Calliope. Ihre Spieler waren schon um 1900 durch Selbstspiel-Apparaturen und Musikrollen ersetzt worden. 

 

Wer die Zeit und die Nerven hat, findet „Kostproben“ der Calliope auf Youtube … 

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