top of page

Komponisten der Region

Komponisten, die vom romantischen 19. Jahrhundert bis in die Jahre zwischen den Weltkriegen im deutsch-französischen Grenzraum gewirkt haben:

Ludwig Boslet

Wilhelm Metz

Karl Roeder

Johann Joseph Veith

August Wiltberger

Boslet
Ludwig Boslet.jpg

Den Reigen eröffnet Ludwig Boslet, der aus der Pfalz stammte, im Raum Ludwigshafen seine künstlerischen Meriten sammelte, um dann für zehn Jahre in St. Ingbert an der zweitgrößten Kirche des Bistums Speyer tätig zu werden, in der Pfarrei Sankt Joseph, bevor  er Domorganist in Trier wurde. Untypisch für die Jahre des Cäcilianismus und der kriegerischen Konflikte 70/71 und 14-18, war Boslet ein Freund der französischen Orgelmusik, insbesondere Alexandre Guilmants. Guilmant seinerseits schätzte Boslets Musik, spielte seine e-moll-Sonate in seiner gefeierten Konzertreihe im Pariser Trocadéro, und bedachte den Deutschen mit Komplimenten und Widmung. Selbst im Vergleich zu den Werken César Francks erschienen die Orgelsonaten Boslets zumindest den Zeitgenossen nicht defizitär, im Gegenteil: Nach einem Konzert Arno Landmanns, des - laut Karl Straube “unübertrefflichen Orgelvirtuosen” seiner Zeit, an der mächtigen Orgel der Mannheimer Christuskirche, schwärmte ein Kritiker: “In Erfindung von schönen Themen und der kühnen Verarbeitung derselben ist der deutsche Komponist [Boslet] dem Franzosen weit überlegen.”

 

Zu diesem Zeitpunkt war Ludwig Boslet bereits arriviert als Virtuose, Lehrer und Komponist. 1860 geboren in Rheinland-Pfalz, im kleinen Dorf Biedershausen auf der Sickinger Höhe, verfolgte er zunächst die typische Ausbildung zum Lehrer-Organisten. Wie so oft, gab es auch in Boslets Vita ein richtungweisendes Erlebnis in seine berufliche Zukunft als Komponist und Virtuose: ein Konzert des Orgelvirtuosen Friedrich Lux (1820-1895) in Mainz. Boslet nahm sich vor, “gleiches zu versuchen”, suchte den Kontakt zu führenden Musikern seiner Heimatregion und bekam über Johann Heinrich Lützel (Zweibrücken) Kontakt zur Hochschule in Stuttgart, einem der ersten Konservatorien Deutschlands – gegründet 1857. Stuttgart war für junge Orgelstudenten, auch wenn es im Vergleich zu Leipzig und München, den Wirkungsstätten Mendelssohns bzw. Rheinbergers, kaum bekannt ist, eine durchaus ernstzunehmende Alternative. Der Mitbegründer des Konservatoriums war der Mendelssohn-Schüler Immanuel Faisst, dessen Oeuvre leider zum Großteil als verschollen gelten muss. Seine wenigen erhaltenen Werke allerdings beweisen erstaunliche Originalität und satztechnische Meisterschaft.

 

Stuttgart zog keinesfalls nur die Namenlosen an. 1866 studierte dort der Schweizer Theophil Forchhammer, später Domorganist in Magdeburg, für den Stuttgart “zu den hervorragendsten musikalischen Ausbildungsstätten Deutschlands” zählte. 1878, zwei Jahre vor Ludwig Boslet, begann in Faissts Klasse Otto Barblan, der spätere titulaire der Kathedrale von Genf, sein Studium. Barblan erinnerte sich in seinen Memoiren, wie lange sein Vater verglichen hätte, um für den begabten Sohn den besten Studienplatz zu finden: “Das Stuttgarter Konservatorium war damals in mehrfacher Beziehung eines der hervorragendsten. Für das Technische des Klavierspiels (im edlen Sinn) konnte, dank der außerordentlichen Persönlichkeit Sigmund Leberts, meines Erachtens bloß Paris mit Stuttgart rivalisieren [...]. Fürs Orgelspiel, für das Studium der strengen Formen der Polyphonie (ganz besonders des Canon) stand Stuttgart, vermöge der hervorragenden Autorität Immanuel Faißts, obenan.” Auch wenn Ludwig Boslet sich nach drei Jahren in Stuttgart bei Rheinberger in München perfektionierte, zeigen die Widmungen zahlreicher seiner Orgelwerke an ehemalige Kommilitonen, wie wichtig ihm seine Studienjahre in Stuttgart waren.

 

Eine nicht unwesentliche Voraussetzung für das Studium an der Stuttgarter und der Münchner Akademie war, dass Boslet selbst das Studiengeld und den Lebensunterhalt bestreiten konnte. Für ihn war dies keine einfache Aufgabe, da ihn – laut seiner Biographie – sein “gesetzlicher Vormund” bereits im Stich gelassen hatte und die gesamte Verwandtschaft einhellig der Meinung war, ein junger Lehrer dürfe keineswegs seine Beamtenkarriere auf’s Spiel setzen. Der Zufall half: Noch in Deidesheim, wo er dank dreier Schulen, zweier Gesangvereine und - wie es in seinem Lebenslauf heißt - des “großen Betriebs als Organist” eine sichere Lebensgrundlage hatte, macht Boslet die Bekanntschaft eines Mäzens, des Eisenbahndirektors Albert von Jaeger: “Dieser hatte ein Ansehen in Bayern wie ein königlicher Prinz, war aber auch sehr musikalisch. Er hatte mich spielen hören und erfuhr mein Missgeschick. Binnen 14 Tagen hatte er von reichen Leuten das Geld beisammen für mein Studium: drei Jahre an der Akademie in Stuttgart und 1 ½ Jahr an der Akademie in München, wo ich das Staatsexamen machen mußte, das für mich ehrenvoll ausging.” Lob zollte dem jungen Studenten auch der große Lehrer bereits für die erste Sonate, deren langsamen Satz Rheinberger als “Mustersatz” für Orgel lobte, wie Boslet stolz in einer Fußnote vermerkt.

 

Dem Studium schlossen sich Jahre in Ludwigshafen an, wo sich Boslet einen Namen als Konzertorganist, Chorleiter und Klavierlehrer machte. In diese Jahre fielen auch Stellenangebote aus dem Ausland, unter anderem von der Hofkirche in Luzern, wie er in seiner Biographie erinnert: “Ich sagte: ‘Nein’. Eine Stellung in London und in Amerika lehnte ich auch ab, weil ich mir sagte, mein Heimatland läßt mich nicht am Hungertuch nagen. Es kam auch so. Die göttliche Vorsehung führte mich zehn Jahre nach St. Ingbert auf eine gut dotierte Stelle. Dann holte mich Trier, wo ich seit 1911 als Domorganist mich betätigte. Meine Compositionen machten das königliche Cabinet in München aufmerksam auf mich und ließen mich am Ministerium vorsehen: Sollte es mir in Trier nicht gefallen, bekäme ich eine erste Professur an einer bayerischen Akademie in München oder Würzburg. Ich blieb in Trier; denn der Dom besitzt eine gewaltige Orgel, die immer imposant klingt und stets auf das zahlreiche Publikum großen Eindruck macht. Musikkenner aus Berlin, München u. Wien ließen sich die Disposition unserer Domorgel schicken, um ähnlich moderne Orgeln sich bauen zu lassen.”

 

Erbauer dieser Orgel war der Stuttgarter Weigle, der unter vielen anderen Neuerungen auch den “Registerschweller” entwickelt hatte, und der für den Trierer Dom, links und rechts vom Altar ein elektrisch angesteuertes zweiteiliges Orgelwerk installierte, was im goldenen Zeitalter der pneumatischen Trakturen noch eine große Seltenheit (das erste Werk dieser Art war erst 1873 auf der Wiener Weltausstellung vorgestellt worden) war. Andererseits erlaubte es Weigles Erfindung, neben 43 klassischen Registern (im rechten Werk) auch zwölf Hochdruckregister (links) aufzustellen, über deren Effekt Boslet kurz nach seiner Ernennung an den Erbauer Friedrich Weigle, der zwischenzeitlich vom Konkurs betroffen war, berichtet: “... wenn dann der Domchor in herrlicher Harmonie erklingt und die Domorgel in brausender Großartigkeit den weiten Raum erbeben läßt, so möchte man wirklich jubilieren. Das große akustische Innere des Domes beläßt Ihren Hochdruckregistern eine überaus glanzvolle Wirkung. Das Plenum berauscht förmlich. Eine solche edle Tongewalt hörte ich noch niemals über die Köpfe der Kirchenbesucher dahinrauschen. Fürwahr! Man wird des Hörens nicht satt.” Auch andere Dokumente der Zeit belegen, dass diese Neuerungen, die von der Orgelreform später als “Fabrikorgeln” verdammt wurden, keineswegs abzutun waren, da es nie um Äußerlichkeit oder bloßen Effekt ging, sondern um einen ins Extrem gesteigerten Differenzierungswillen, was Klangfarbe, Dynamik, artikulatorische Ausgestaltung und - last but not least - den virtuos-technischen Anspruch spätromantischen Repertoires anging.

 

Davon zeugen auch Boslets Partituren, die (zum Teil mit handschriftlichen Eintragungen) in der Pfälzischen Landesbibliothek Speyer erhalten sind. Zu diesem Oeuvre zählen sechs mehrsätzige Sonaten von durchaus hohem technischem Anspruch, sowie eine ganze Reihe freier Werke für’s Konzert, aber auch solche für den liturgischen Gebrauch. Deren brave Harmonik, simple Spielbarkeit und kleinformatige Anlage verraten den Adressatenkreis, an den sich ein Großteil der Orgelmusik jener Jahre richtete: die “Cäcilianer”, die an die Stelle kunstvoller Virtuosität eine “ächte Kirchenmusik” und “ernstes, würdiges Orgelspiel” propagierten, auch wenn diese noch so ennuyierend war. Tragisch war, dass es fast ausschließlich derartige Gebrauchsmusik war, die durch den Cäcilianismus Verbreitung fand. Dabei zeigt sein Sonaten-Schaffen, dass Boslet wie sein Lehrer Rheinberger ein Antipode der cäcilianischen Ideologie war. Er schwärmte für die aktuelle Musik, insbesondere die seiner französischen Zeitgenossen, was in den Jahren des Nationalismus sicherlich keine Selbstverständlichkeit war. Boslet starb am 23. Januar 1951 in Trier, kurz nach der Feier seines 90. Geburtstags, ein Opfer der Grippe-Epidemie der Nachkriegsjahre.

Wilhelm Metz

Wilhelm Metz wurde am 31. März 1828 in Zell am Harmersbach in Baden geboren. Sein Vater Jakob, ein Steingut-Arbeiter, verstarb am 28. Dezember 1850 im saarländischen Wallerfangen. Auch Wilhelm Metz‘ musikalische Laufbahn begann in einem Lehrerseminar. 1846 trat er mit 18 Jahren in Speyer in das königlich-katholische Schullehrer-Seminar ein. Im gleichen Jahr wurde Dr. Johann Baptist Benz in Speyer als Domkapellmeister und Seminar-Musiklehrer verpflichtet. Unter Benz hatte Metz auch in den Vespern und Hochämtern der Feiertage mitzusingen. Ansonsten erhielt er wöchentlich sechs Stunden Musikunterricht: Singen, Chorarbeit, Instrumentalspiel und Harmonielehre – als Vorbereitung auf den späteren Kirchen- und Schuldienst, in dessen Rahmen nicht nur das Orgelspiel zu leisten war, sondern auch Chöre aufzubauen. Metz begann seine Tätigkeit 1849 als Schuldienst-Expectant in Kübelberg (bei Homburg/Saar). Im folgenden Jahr ging er zunächst als „Verweser“ der Lehrerstelle der oberen Knabenklasse (d.h. der Klassen 5 bis 7) nach Blieskastel, wo er 1852 als “wirklicher Lehrer” eingestellt wurde.

 

Metz wird wohl ein tüchtiger Lehrer und Organist gewesen sein, denn von 1853 bis 1858 wurden ihm “Lehrlinge” bzw. Schul-Aspiranten anvertraut. Daneben hatte er in der Pfarrkirche den Orgeldienst auch bei den täglichen Schulmessen zu leisten und die Kinder im Singen zu unterrichten. Einer seiner Zöglinge, Jacob Gain, erinnert sich in seinem “Tagebuch der oberen Knabenschule zu Blieskastel”, das bis heute im Archiv der Schule als Manuskript lagert: “Da ich in nächster Nähe geboren bin - Lautzkirchen ist meine Heimat - und mein Vater daselbst Lehrer war, so kann ich mich aus meiner Jugendzeit der früheren Blieskasteler Lehrer erinnern. Als ersten kenne ich da den Lehrer Metz, der ein ausgezeichneter Organist, Zeichner und Modellierer war. Er kam oft nach Lautzkirchen, um dort die damals neue Orgel außerhalb der Gottesdienst- und Schulzeit zu seiner Übung und zu seiner Freude zu spielen. Zwei Schulknaben, darunter gewöhnlich oder fast immer ich, mußten ihm den Blasebalg treten, und da er auch die starken Register nicht schonte, die soviel Luft brauchten, so troff uns Knaben oft der Schweiß von der Stirne. Es machte uns also wenig Vergnügen, ihm bei seinem Kunstenthusiasmus behilflich zu sein, zumal unser Kunstverständnis noch sehr wenig entwickelt war und die Beharrlichkeit des Spielers unsere Geduld oft auf eine harte Probe stellte. Herr Metz kam dann als Zeichenlehrer an das Realgymnasium nach Speyer [...].”

 

Die Versetzung ans Speyerer Gymnasium fand laut der heute noch erhaltenen Akten (seine Personalie ging am 7. Januar 1945 nach einem Bombenabwurf verloren) 1864 statt. Der Versetzung an die höhere Schule ging eine Höherqualifikation am Münchner Conservatorium voraus, wo sich entsprechende Einträge in den Meldeunterlagen fanden: 1862 lesen wir den Vermerk “Zweck des Aufenthalts Ausbildung” bzw. im folgenden Jahr “Prüfung”. Metz war neben seiner gymnasialen Tätigkeit Orgel-Sachverständiger für die Pfalz. Im Oktober 1887 ging er aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig in den Ruhestand und verstarb bereits im folgenden Februar mit nur 60 Jahren in Speyer. Seine Wieder-Entdeckung verdanken wir dem saarländischen Musikforscher Dr. Michael Lamla.

Roeder
Karl Roeder Q Jansa.jpg

Als Sohn eines Volksschullehrers kam am 27. Juni 1860 in Hangard bei Ottweiler Karl Roeder zur Welt. Mütterlicherseits entstammte er der französischen Hugenottenfamilie Rennolet aus Ludweiler. In Ottweiler besuchte er die Grundschule seines Vaters, dessen Gehilfe er mit 13 Jahren wurde. Ein Pfarrer im benachbarten Wiebelskirchen unterwies ihn in Französisch, Latein und Mathematik, um ihm alsbald die Karriere als Lehrer zu ermöglichen: in Ottweiler an der Bürgerschule, in Neunkirchen an der Präparandenschule und schließlich am Ottweiler Lehrerseminar.

 

Mit 21 Jahren wurde Roeder Volksschullehrer in Trier. Dort heiratete er die St.Wendeler Lehrerstochter Auguste Henriette Schaun, die ihren Gemahl zum Studium in Berlin ermunterte, am Königlichen Institut für Kirchenmusik. Sein Kompositions- und Orgellehrer wurde dort der Direktor des Instituts Carl August Haupt (1810-1891). Als Student war Roeder auch im Chor der legendären Berliner Singakademie aktiv, damals unter Leitung von Martin Blumner (1827-1901). In diese Berliner Jahre fiel auch eine Freundschaft mit dem Organisten und Musikpädagogen Carl Thiel (Berlin, später u.a. Regensburg) und dem späteren Dresdner Kreuzkantor Otto Richter, mit denen Roeder den Musikerverband Organum gründete, dessen Ehrenmitglied er bis zum Lebensende blieb. Nach der Rückkehr aus Berlin (nach zwei Jahren und mit tadellosem Examen) war Roeder zum Seminar-Musiklehrer befähigt, eine Anstellung, die er ab dem Jahr 1895 im Hilchenbach bei Siegen antreten sollte.

 

Die Jahre zwischen Berlin und Siegen blieb er zunächst in Trier, wo er sich als Dirigent und Chorleiter (unter anderem der Trierer Liedertafel und eines Orchestervereins), Organist und Privatmusiklehrer einen Namen machte. Vom Siegener Seminar aus wechselte er er 1903 an das neu gegründete Seminar in Herford, wo Roeder neue Initiativen umsetzte, was die Methodik des Gesangsunterricht an Schulen betraf. Seine Versuche bestanden unter anderem darin, die damals „revolutionäre“ Bewegungsschule Emile-Jaques Dalcrozes in die Schulen zu bringen, daneben auch die viel diskutierte “Tonwort-Methode”, eine Solmisationstechnik, die Kindern das Blattsingen und saubere Intonieren erleichtern sollte. In Herford entstanden auch Roeders 100 Choralvorspiele für Orgel, die allerdings 1945 von alliierten Besatzungssoldaten verbrannt worden waren. Roeder starb am 25. Februar 1933, hochdekoriert mit dem Verdienstkreuz und dem Titel eines Königlichen Musikdirektors – aufgrund seiner Verdienste im künstlerischen und pädagogischen Bereich.

Veith
Johann Joseph Veith Q Jansa.jpg

Auch Johann Joseph Veith wurde in Ottweiler geboren, am 23. Juni 1872. Im Kreis seiner neun Geschwister verlebte er keine leichte Kindheit, zumal der Vater einfacher Bergmann war und für die Ernährung seiner Familie bloß über eine kleine Landwirtschaft als zusätzliche Einnahmequelle verfügte. Bildnerisch und musikalisch begabt war vor allem seine Mutter. 1888 – mit 16 Jahren – ging Veith ans “Gregoriushaus” nach Aachen, wo Fritz Nekes, einer der bedeutensten Cäcilianer als Lehrer tätig war. Fünf Jahre später stellte Nekes ihm, einem seiner begabtesten Schüler, zum Abschluss seiner Studien ein enthusiastische Zeugniß aus:

 

“Johann Veith wurde vor Jahren als Schüler des Gregoriushauses zu Aachen vom Unterzeichnenden im Contrapunkt und in der künstlichen Composition unterrichtet und bewies dabei neben immensem Fleiß ein ganz ungewöhnliches Talent für diejenige streng-kirchliche Compositionsweise, welche man als “Palestrina-Stil” zu bezeichnen pflegt. In drei Vierteljahren hatte er bereits den ganzen einfachen und doppelten Contrapunkt mit aller Gründlichkeit durchgearbeitet und daneben einige vielversprechende Versuche in der selbstständigen Composition gemacht. Seitdem hat er rastlos weitergearbeitet und mir eine Reihe von Compositionen, alle im reinsten Kirchenstil, vorgelegt. Es befindet sich unter ihnen eine sechsstimmige Messe, welche nach meinem Urtheil sowohl in künstlerischer als kirchlicher Beziehung zu dem Besten gehört, was in unserer Zeit für die Kirche geschaffen worden ist. Jedenfalls steht dem jungen Mann eine große Zukunft bevor, vorausgesetzt, dass Gott ihn so kindlich und bescheiden erhält, wie ich ihn während seiner Studienzeit im Gregoriushause kennen lernte.

 

Was nun seine praktische Fertigkeit auf der Orgel betrifft, so hat er sich hierin leider nicht in gleichem Maße, wie in der Composition vervollkommnen können, aus dem einfachen Grunde, weil die Landkirche, an welcher er angestellt war, keine Orgel, sondern nur ein Harmonium, besaß. Ohne Zweifel wird sein Fleiß und seine Energie das ohne Schuld Versäumte in kurzer Zeit nachholen. Es muß übrigens bemerkt werden, dass er in der kunstgerechten und streng-kirchlichen Begleitung des gregorianischen Chorals und der deutschen Kirchenlieder nicht bloß gut, sondern sehr gut fertig wird; und das ist für den katholischen Organisten die Hauptsache, nur zur sogenannten Virtuosität, wie sie zum Vortrage Bach’scher Fugen u. dgl. erwünscht ist, hat er es aus den angeführten Gründen noch nicht bringen können.

 

An der Herausbildung eines tüchtigen Kirchenchores wird Johann Veith sicherlich mit aller Begeisterung arbeiten, da ja eben die reine Vocalmusik sein Hauptfeld ist. Seine große Liebe zum gregorianischen Choral und seine hervorragenden Kenntnisse auf dem Gebiete des Palestrina-Stils werden ihm dabei trefflich zu Statten kommen.

 

Ich empfehle den ebenso strebsamen als talentvollen jungen Mann aufs Allerwärmste für eine größere Stelle in der Stadt, in der Ueberzeugung, daß derselbe das Vertrauen, welches man ihm mit der Uebertragung einer solchen Stelle erweist, glänzend rechtfertigen wird.

 

Aachen, den 16. Juli 1893. Franz Nekes, Domchordirigent.”

 

Nekes Empfehlung sollte zu Veiths Anstellung in Siegburg führen, nachdem er zuvor noch im saarländischen Bedersdorf und in dem Eifel-Örtchen Dockweiler als Organist und Chorleiter tätig gewesen war. In Bedersdorf waren auch einige Chorwerke entstanden, darunter Motteten und drei Messen: “Lauda Sion” (dreistimmig), “Salve Regina” und “Fidelis Servus” (beide vierstimmig). Von Siegburg führte ihn sein Weg zum Weiterstudium in Köln bei Franz Wüllner, dem Leiter der Rheinischen Musikschule. In Siegburg führte Veith auch große Chorwerke von Haydn und Mendelssohn auf, was die Zeitgenossen auf ihn aufmerksam machte und 1906 zur Ernennung zum Münsterorganisten der Stadt Bonn führte. Dort im Archiv der Beethovenhauses wird bis heute Veiths Nachlass verwahrt. Auch dem großen Bonner Musiker Beethoven erwies Veith die Ehre, indem er dessen C-Dur-Messe zu Beethovens 150. Geburtstag aufführte, eine Aufführung, die alljährlich am Osterfest fortgesetzt wurde.

 

Bis zu Veiths Tod am 18. Mai 1947 kamen auch weitere Auftragskompositionen für bestimmte Anlässe zur Aufführung, etwa zum 600. Geburtstags Dantes oder zur Generalversammlung des Deutschen Cäcilienvereines. Veiths einziger Orgelsonate liegt das gregorianische Ad regias Agni dapes – Zum Hohen Fest des Lamms, ein Hymnus aus dem 7. Jahrhundert, zugrunde, der zu den Ambrosianischen Hymnen zählte. Erstmals wurden Teile der Sonate in der repräsentativen Sammlung Orgel-Kompositionen aus alter und neuer Zeit zum kirchlichen Gebrauch wie zum Studium (herausgegeben von Otto Gauss) gedruckt. Am Bonner Münster ging Veith 1939 in den Ruhestand. Wenige Monate später aber wurde er erneut aktiv, da der junge Nachfolger zur Wehrmacht eingezogen wurde. Kurz nach dessen Rückkehr aus der Gefangenschaft verstarb Veith an einem Herzinfarkt, nach rund 40 Jahren Dienst am Münster.

Wiltberger

Auch August Wiltbergers Schaffen stand ganz im Zeichen des Cäcilianismus. Der Komponist war am 17.  April 1850 in Sobernheim an der Nahe gebürtig, wo bereits sein Vater als Lehrer-Organist tätig gewesen war. Seine Ausbildung absolvierte Wiltberger dann am Lehrerseminar in Boppard am Rhein. Nach zweijährigem Schuldienst erfolgte 1873 die Ernennung zum Musiklehrer im elsässischen Colmar. Drei Jahre später wurde er nach Saargemünd versetzt, wo er als Gesanglehrer am Knabengymnasium und an der Höheren Töchterschule wirkte. Saargemünd war jedoch nur Durchgangsstation: 1880 wurde Wiltberger zum Seminar-Musiklehrer in Münstermaifeld befördert, vier Jahre später wechselte er erneut ans Seminar in Brühl. Wiltberger hinterließ über 120 Werke für verschiedene Besetzungen, darunter vier Oratorien und eine Orgelschule, die – wie seine Gesangübungen, sein Volksliederbuch und seine Harmonielehre – weite Verbreitung in Kreisen der Lehrer-Organisten fanden. Seit 1887 zählte Wiltberger auch zu den einflussreichen „Referenten” und Gutachtern des (ideologisch geprägten) Katalogs kirchenmusikalischer Werke, den der Cäcilienverband herausgab. 1911 erfolgte die Ernennung zum Gesanginspektor an höheren Schulen und Seminaren der Rheinprovinz. 1917 ging Wiltberger in den Ruhestand, lebte in Bonn. Auch er wurde wegen seiner musikalischen Verdienste, insbesondere (wie es im Nachruf heißt) „um die Pflege des deutschen Volksliedes“ mit dem Titel des Königlichen Musikdirektors geehrt.

bottom of page